Ich bin abgetaucht. Zur Zeit sehr eingeschränkt erreichbar. Die Zivilisation nur an der Peripherie erlebend. Auf exklusivem Niveau.
Erlaube mir, mich nicht an viele Regeln zu halten, wie ein Alltag ablaufen sollte.
An der Ostsee, direkt am Strand, der Wohnwagen mit einem Traktor ist tief in die Dünen gezogen geworden, einen Steinwurf von der Wasserkante entfernt. Nur ein hoher Sandhügel trennt von der totalen Freiheit.
Das Wetter hält sich auch nicht an Regeln, wie es im Frühsommer zu sein hat.
Wolkentürme und Himmels – Fratzen ziehen ihr faszinierendes Spiel über mir.
„HEY, flieg mit, lass dich treiben!“ , rufen sie mir zu, und ich willige ein.
Genieße das Ausatmen ohne den Gedanken, was zu tun wäre.
Das Haus ist gut betreut, der Garten wird gegossen. Der Anrufbeantworter programmiert. Nur wenige haben meine neue Handynummer.
An W – Lan ist hier nicht einmal mit viel Fantasie zu denken. Wenn das Wetter mitspielt, hat mein Smartphone schwachen Internet Empfang. Das kleine Kofferradio lässt krächzend, mit Störgeräuschen, die Wettervorhersage hören.
Schweren Herzens habe ich meine Malutensilien im Atelier zu Hause gelassen.
Was mit darf, sind meine unverzichtbare Kamera und mein Laptop.
Falls die immer leiser werdenden Stimmen in meinem Kopf, mir doch etwas interessantes mitzuteilen haben.
Ich bin fast ganz alleine, die beiden Hunde sind meine guten Kammeraden. Für sie sind die wichtigsten Fragen, wann es Frühstück gibt und wann der nächste Strandausflug beginnt.
Der Gatte ist arbeiten, auf einem stattlichen Zweimaster, die Ostseeküste entlang, mit Teilnehmern bei seinem exklusiven Fotoworkshop. Vier Tage nur für mich.
Ich liebe diese Auszeiten. Keinen Plan haben zu müssen. Keine Verpflichtung.
Der Wettergott sieht es ähnlich. Selbst die Hunde drücken sich an die kleine Heizung. Zwiebelschalen Look ist der Trend. Draußen ist es mit vier Schichten angenehm. Wenn die Sonne uns besucht, liegen die Hunde und ich in einer windschützten Dünenkuhle mit Blick aufs Meer, dicht am Boden und atmen die warmen Strahlen ein.
Meine Sommerkleider und Sandalen liegen behütet im warmen Inneren des Wohnwagens.
In meinem andern Leben liebe ich den Luxus vieler Räume in unserem großen Haus, meinen Kleiderschrank, die warme Badewanne, und zu überlegen, welches Geschirr ich benutzen möchte, um es nach Gebrauch meiner Spülmaschine anzuvertrauen.
Hier ist der Luxus anderer Art. Das Plastikgeschirr besteht aus sechs Tassen und jeweils vier Tellern. Zwei Wein – und zwei Wassergläsern aus Glas. Auch das Besteck ist abgezählt. Abgewaschen wird, wenn alles verbraucht ist.
Das Wasser ist knapp und kostbar hier. Es muss mühevoll von weit entfernt, in Kanistern hergeschleppt werden. Den Wasserhahn im Spülbecken und in dem winzigen Bad wird dosiert und mit Bedacht benutzt.
Das gefällt mir. Die Bedeutung von Wasser wieder zu schätzen. Kein unnötiges Laufenlassen. Mit dem Vorsatz zuhause noch mehr darauf zu achten, als wir es sowieso schon tun. Wenn Klienten in der Praxis ihr Glas nicht austrinken oder es bleibt abends noch etwas in der Karaffe, bekommen es die Pflanzen in den Blumentöpfen. Immerhin ein Anfang, aber ich möchte noch bewusster damit umgehen.
Bei jedem Schritt knirscht es vor Sand hier im Wohnwagen. Es ist Sand in meinen Ohren, morgens in den Augenwinkeln, im Bett, manchmal schleicht er sich sogar auf die Teller. Aus Schuhen und Socken rieselt er sich heraus. Aus dem Fell der Hunde sowieso. Heute Abend werde ich ihm mit einem kleinen Tischstaubsauger den Garaus machen. Bis er morgen früh klammheimlich und leise den Weg zurück ins Innere unseres Schneckenhauses gefunden hat. Ganz unschuldig, weil es ist hier schließlich am Strand sein Reich.
Ja, jedes Sandkorn ist ein Stückchen der Freiheit, die ich hier so liebe.
Selbst der Gedanke, was ich anziehe und der einmalige Blick in den Spiegel nur morgens ist minimalistisch. Als ich dann am Abend merke, ich hatte zwei verschiedene Socken den ganzen Tag an, lache ich laut los. Es fiel nicht auf, da sie beide schwarz sind.
Ich muss an Pippi Langstrumpf denken, die Heldin meiner Kindheit und an eine der wenigen Rebellionen von mir, die nicht bestraft wurde; mich wie sie mit dem Kopf ans Fußende und die Füße unter das Kopfkissen zu legen, um zu schlafen. Das tut gut, an die Verrücktheiten von früher zu denken. Trotzdem werde ich wahrscheinlich heute Nacht richtigherum in meinem Bett liegen.
Danke, liebe Pippi! Du hast mich daran erinnert, alles nicht so erst und erwachsen zu sehen.